Das nachträgliche Manipulieren und Löschen von Publikationen bei den Zeugen Jehovas– ein dokumentiertes Beispiel

Zusammenfassung (1 Minute Lesezeit):

Der Beitrag dokumentiert, wie die Wachtturm-Gesellschaft frühere Publikationen nachträglich verändert oder ganz entfernt – insbesondere solche, die mit dem Jahr 1975 in Verbindung stehen. Anhand konkreter Textvergleiche wird gezeigt, wie apokalyptische Erwartungen nachträglich abgeschwächt wurden. Auch das Buch „Kommentar zum Jakobusbrief“, das eine liberalere, christuszentrierte Sicht vertrat, wurde aus dem Literaturbestand getilgt – offenbar aufgrund innerer Widersprüche zur heutigen Lehre. Die gezielte Ausblendung und Revision früherer Lehren wirft Fragen zur theologischen Integrität der Organisation auf.

Das Buch: „Die Wahrheit, die zum ewigen Leben führt

Onlineausgabe auf JW.org:

Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für nachträgliche Textänderungen durch die Wachtturm-Gesellschaft bietet die Onlineausgabe des oben genannten Buches. Obwohl dieses auf JW.org offiziell veröffentlicht und frei herunterladbar ist, weist es inhaltliche Abweichungen zur gedruckten Originalversion auf scheinbar geringfügige Änderungen mit weitreichender Bedeutung im historischen Kontext.

1975 – Ein Jahr mit apokalyptischer Erwartung

Das Jahr 1975 markierte für viele Zeugen Jehovas einen vermeintlichen Wendepunkt in der „Zeit des Endes“. Zahlreiche Gläubige rechneten mit dem Beginn von Harmagedon im Herbst 1975. Diese Erwartung beruhte nicht lediglich auf persönlichen Mutmaßungen, sondern wurde in zahlreichen Publikationen der Wachtturm-Gesellschaft direkt oder indirekt thematisiert und gefördert.

Obwohl die Organisation diese Erwartung heute als „Fehlinterpretation Einzelner“ abtut, finden sich in früheren Publikationen klare Hinweise. Besonders deutlich wird das in Kapitel 1, Absatz 9 des Buches:

„wie im Jahre 1960 gemeldet wurde, wir würden in einer „Zeit beispielloser Unsicherheit und beispielloser Gewalttat“ leben. Er Sagt warnend. „Ich bin über das, was vor sich geht, ausreichend unterrichtet, um mit Sicherheit sagen zu können, dass diese Welt in fünfzehn Jahren zu gefährlich sein wird, um darin zu leben.“

Hier wird ein US-Außenminister zitiert, der angeblich bereits 1960 prophezeit habe, dass die Welt in 15 Jahren also im Jahr 1975 nicht mehr bewohnbar sei. Diese Aussage wurde von der Wachtturm-Gesellschaft übernommen und in ihre Argumentationslinie eingebettet.

In der aktuellen Onlineausgabe ist jedoch dieser entscheidende Hinweis abgeschwächt. Dort lautet der gleiche Absatz sinngemäß:„…dass es in dieser Welt bald zu gefährlich sein wird, um darin zu leben.“

Die spezifische Angabe „in 15 Jahren“ wurde entfernt… offenkundig, um den Bezug zu 1975 nachträglich zu relativieren. Eine derartige Umformulierung lässt sich kaum als bloße stilistische Anpassung werten, sondern erscheint als gezielte Kaschierung einer einst vertretenen Erwartung.

Weitere Hinweise im Buch und ihr späteres Verschwinden

Noch deutlicher wird der manipulative Eingriff auf den Seiten 88 und 89 des Buches. Dort wird im Absatz 11 ein Buch mit dem Titel Famine—1975 (Hunger – 1975) zitiert, in dem von katastrophalen Hungersnöten bis ins Jahr 1975 die Rede ist. Die Rede ist von Chaos, Unruhen und systemischer Instabilität in vielen Ländern. All dies wird als „Zeichen der letzten Tage“ gewertet.

Diese Textstellen sind in der Onlineausgabe vollständig entfernt das Buch Famine—1975 wird nicht mehr erwähnt. Ein literarisches Dokument, das 1975 als Krisenjahr stützt, wurde somit im digitalen Nachhinein „ausradiert“.

Die systematische Tilgung unbequemer Inhalte

Es zeigt sich ein eindeutiges Muster: Hinweise auf 1975 einst ein zentrales Jahr in der Eschatologie der Zeugen Jehovas – werden in revidierten Ausgaben abgeschwächt, verändert oder gänzlich entfernt. Die Organisation scheint retrospektiv bemüht, die eigenen historischen Aussagen zu bereinigen.

Eine Organisation, die wirklich integer ist, würde offen zu ihrer publizierten Vergangenheit stehen. Und wenn Änderungen vorgenommen werden, dann zumindest mit einem transparenten Hinweis in einer Fußnote. Stattdessen wird hier der Eindruck erweckt, man wolle durch redaktionelle Eingriffe nachträglich „Licht“ erzeugen, wo zuvor Dunkelheit herrschte leider erst nach dem Jahr 1975.

Wie Johannes 3:20 treffend formuliert:

„Wer Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.“

Die digitale Bibliothek beginnt 1950 – warum?

Ein weiteres bemerkenswertes Detail ist, dass in der JW.org-Bibliothek keine Publikationen vor dem Jahr 1950 verfügbar sind. Das 19. Jahrhundert sowie die Anfangsjahre der Organisation unter Russell und Rutherford sind digital so gut wie ausgelöscht. Dies dürfte kaum ein Zufall sein die Vergangenheit scheint der Wachtturm-Gesellschaft unangenehm zu sein.

Gerade diese frühe Phase aber ist entscheidend, um die Entstehung, Radikalisierung und Strategien dieser Glaubensgemeinschaft historisch korrekt einordnen zu können.


Das verschwundene Buch: „Kommentar zum Jakobusbrief“

https://archiv-vegelahn.de/index.php/jehovas-zeugen/literatur/4811-1979-kommentar-zum-jakobusbrief

Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel ist das Buch „Kommentar zum Jakobusbrief“, das heute auf JW.org nicht mehr zu finden ist. Es wurde in den 1970er Jahren veröffentlicht und war sogar Thema auf Kongressen wie etwa im Jahrbuch 1980 dokumentiert.

Quelle Jahrbuch 1980

Warum wurde es entfernt?

Offenbar enthielt das Buch zahlreiche theologische Aussagen, die mit späteren Lehren der Leitenden Körperschaft nicht mehr vereinbar waren. So etwa eine Passage, die besagt:

„Jehova ist nicht nur der Gott der gesalbten Christen, sondern auch ihr Vater, denn er hat sie durch seinen Geist als seine Söhne gezeugt.“

(Seite 49 Kommentar zum Jakobusbrief)

Eine theologische Position, die später fallengelassen wurde!

Gehen wir das genauer durch, was sagt der „Kommentar zum Jakobusbrief“ aus, was der Leitung nicht gefällt?

1. Fehlende Exklusivität der Leitenden Körperschaft

Im Kommentar wird die Rolle des Jakobus als „prominente Persönlichkeit“ der Versammlung Jerusalem beschrieben, ohne dass ihm oder anderen eine exklusive „geistige Leitung“ über alle Christen zugeschrieben wird. Es heißt dort:

„Jakobus war eine prominente Persönlichkeit der Versammlung Jerusalem …“
(Kommentar, Einleitung zu Jakobus)

Abweichung heute: Die aktuelle Lehre betont die „Leitende Körperschaft“ als das einzige von Gott eingesetzte Kommunikationsorgan für alle Zeugen Jehovas weltweit. Eine derart dezentrale oder kollegiale Sichtweise wie in diesem Kommentar entspricht nicht mehr dem heutigen Führungsverständnis.


2. Betonung der persönlichen Gewissensentscheidung und Herzenseinstellung

Der Kommentar betont mehrfach die innere Haltung und das Gesetz der Liebe, das auf das Herz geschrieben sei – und stellt es dem „mosaischen Gesetz“ gegenüber:

„Ein echter Christ handelt nicht rein routinemäßig, und er braucht keine detaillierten Regeln.“
(Einleitung, S. 10)

Abweichung heute: Die aktuelle Praxis der WTG ist stark reglementiert, mit zahlreichen Verhaltenskatalogen, internen Richtlinien und Ältestenvorgaben („Königreichsdienstschulbuch“, „Hirten der Herde Gottes“ usw.). Dass ein Christ „keine detaillierten Regeln“ braucht, ist heute kaum vereinbar mit der realen Organisationsstruktur.


3. Relativ offene Christuszentrierung

Der Kommentar verwendet mehrfach Formulierungen wie „der Glaube unseres Herrn Jesus Christus“ und hebt Jesus als „Herrn“, „Gebieter“ und „König“ hervor:

„Der Christ, wenn auch Jesus Christus sein Herr ist, ist ebenfalls ein Sklave Gottes.“
(Kap. 1, Vers 1)

„Alles, was Jakobus über den Wandel des Christen sagt, gründet sich auf den ‚Glauben unseres Herrn Jesus Christus‘.“
(Einleitung, S. 9)

Abweichung heute: Obwohl Jesus formal als „König des Königreichs Gottes“ anerkannt ist, hat in der aktuellen Lehre der Zeugen Jehovas die „Leitende Körperschaft“ faktisch eine Stellvertreterrolle übernommen. Der Zugang zu Christus wird funktional durch sie kanalisiert (z. B. in der Abendmahlsfrage, im Taufverständnis etc.).


Sehr treffend, gab es zu dem Thema eine Leserfrage im Wachtturm von 15.04.1981.

Der Kommentar reflektiert theologische Standpunkte, die noch stärker von persönlichem Glauben, innerer Motivation und Christusbezug geprägt sind mit deutlich weniger institutioneller Kontrollstruktur. Gerade im Kontrast zu der heutigen absolut gesetzten Autorität der „Leitenden Körperschaft“ wirken einige Passagen fast liberal oder zumindest individuell-verantwortlich.

Das Buch wurde aber auch von Edward Dunlap verfasst, dem damaligen Registrator und Leiter der Gilead-Schule. Dunlap wurde später ausgeschlossen unter anderem, weil er zunehmend Zweifel an der Unfehlbarkeit der Leitenden Körperschaft äußerte. Dies dürfte der entscheidende Grund gewesen sein, das Buch vollständig aus der Literatur zu tilgen


Das Aussagen aus der Literatur der Zeugen Jehovas nachträglich verändert, abgeschwächt oder redaktionell angepasst wurden hat allerding eine lange Tradition, hier ein paar andere Beispiele aus der Vergangenheit.

1914 – „Verschwunden sein“ ersetzt durch „Wehe sprechen“

  • Original: „Die Christheit als ein System wird 1914 verschwunden sein.“ – Schriftstudien Band 3, 1890, dt. Ausg. 1898, S. 146
  • Geändert: „Die Christheit als ein System wird 1914 ein deutliches Wehe sprechen.“ – dt. Ausg. 1926, S. 141
  • Analyse: Aus der eindeutigen Endzeit-Prophezeiung, dass das gesamte „Christentum“ im Jahr 1914 untergehen würde, wurde nachträglich eine symbolische Wendung. Der Ausdruck „wird verschwunden sein“ deutet ein konkretes, weltgeschichtliches Ereignis an – der Systemsturz der bestehenden Religionen. Die spätere Formulierung „ein deutliches Wehe sprechen“ ist dagegen diffus und lässt offen, ob überhaupt etwas Sichtbares geschehen soll. Das mindert nicht nur den prophetischen Anspruch, sondern verdeckt auch, dass die ursprüngliche Ankündigung nicht eingetroffen ist.

1920 – „Im Herbst 1920“ → „Zur Zeit der Anarchie“

  • Original (engl.): „… will have passed away in the fall of 1920.“ – The Finished Mystery, 1917
  • Geändert (dt.): „… wird zur Zeit der Anarchie vergehen.“ – Schriftstudien Band 7, 1925, S. 345
  • Analyse: Die ursprüngliche Aussage enthält eine genaue Jahresprognose für den Zusammenbruch der Weltordnung. Diese wurde später durch eine vage Formulierung ersetzt, die keine überprüfbare Zeitangabe mehr enthält. Der Eingriff verschleiert das Nichterfüllen der Vorhersage und ermöglicht es der Organisation, sich retrospektiv von der Prognose zu distanzieren.

1915/1918 – Neue Weltordnung unter Drangsal

  • Frühe Aussage: 1915 sei das Jahr, in dem die „neue Weltordnung“ beginnen werde – Neue Schöpfung, 1926, S. 578
  • Spätere Lehre: Die Erwartung wurde auf 1918 verschoben, ohne Rücknahme der früheren Aussage
  • Analyse: Die ursprüngliche Vorhersage eines konkreten Umbruchs im Jahr 1915 wurde später ohne Erklärung oder Korrektur stillschweigend auf 1918 verschoben. Diese Art der Lehrevolution stellt eine Form ideologischer Geschichtskorrektur dar – ohne die Verantwortung für vorherige Fehlannahmen zu übernehmen.

1925 – „Absolute Gewissheit“ → „Nur als Meinung“

  • Original: „Wir erwarten mit voller Gewissheit die Rückkehr der alttestamentlichen Fürsten im Jahr 1925.“ – Das Goldene Zeitalter, 15.3.1924
  • Spätere Darstellung: „Die Behauptung über 1925 war lediglich eine persönliche Meinung.“ – Jahrbuch 1980, S. 63
  • Analyse: Die Lehre von der Auferstehung der „Fürsten“ (Abraham, Isaak, Jakob usw.) im Jahr 1925 wurde mit hoher Sicherheit vertreten – u. a. durch den Bau der Villa Beth-Sarim in San Diego. In Publikationen wurde von „absoluter Gewissheit“ gesprochen, und das Jahr 1925 als Höhepunkt göttlicher Zeitplanung dargestellt. Rückblickend jedoch wurde diese Lehre zur „privaten Meinung“ umgedeutet, um die Organisation vor der Verantwortung für falsche Prophezeiungen zu schützen. Das beschädigt nicht nur das Vertrauen in die damaligen Aussagen, sondern wirft Fragen zur Verantwortung für kollektive Fehlprognosen auf.

Kongressresolutionen 1922–1928 – Deutung verwässert

  • Früher: Resolutionen wurden als die „sieben Trompeten“ aus Offenbarung interpretiert – ein klarer prophetischer Bezug
  • Später: Im Offenbarungsbuch (1988) nur noch als „bemerkenswerte Ankündigungen in jener Zeit“ beschrieben
  • Analyse: Die Resolutionen wurden ursprünglich als direkte Erfüllung biblischer Prophetie dargestellt – mit klarer eschatologischer Bedeutung. Die spätere Darstellung reduziert sie auf historische Ereignisse ohne prophetische Dimension. Damit wird die einstige Bedeutung nachträglich relativiert, um heutigen Lesern die frühere Dringlichkeit und Irrtumsanfälligkeit zu verschleiern.

Fazit:

Die dargestellten Beispiele belegen, dass die Wachtturm-Gesellschaft gezielt Publikationen nachträglich verändert, kürzt oder vollständig löscht, um ihre Vergangenheit in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Historische Ehrlichkeit und theologische Redlichkeit sehen anders aus.

Die Frage, die bleibt:
Wenn eine Organisation den Anspruch erhebt, Gottes exklusives Sprachrohr zu sein wie glaubwürdig ist sie, wenn sie ihre eigenen Aussagen und Lehren der Vergangenheit rückwirkend tilgt?


Rechtlicher Hinweis: Dieser Beitrag dient der journalistischen und theologisch fundierten Auseinandersetzung mit öffentlich dokumentierten Vorgängen der Wachtturm-Gesellschaft. Alle Zitate dienen der kritischen Analyse gemäß § 51 UrhG (Zitatrecht). Alle genannten Gruppennamen und Begriffe sind eingetragene Bezeichnungen der jeweiligen Organisationen und werden hier ausschließlich im Rahmen zulässiger Berichterstattung nach § 50 UrhG und § 5 GG verwendet.

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