Die Neue-Welt-Übersetzung wurde maßgeblich von Männern ohne akademische Sprachqualifikation erstellt – darunter Fred Franz, der selbst Hebräisch nicht beherrschte. Viele Sprachversionen beruhen nicht auf Urtexten, sondern auf der englischen Ausgabe. Das führt zu Fehlern und Dogmatisierungen, etwa durch das Einfügen des Namens „Jehova“ im Neuen Testament – obwohl dieser in keinem griechischen Manuskript vorkommt. Die Übersetzung wirkt insgesamt nicht objektiv, sondern wie ein Werkzeug zur Bestätigung der Lehre der Zeugen Jehovas. Für unabhängiges Bibelstudium ist sie ungeeignet.
Bei der folgenden Analyse geht es nicht primär um die Interpretation einzelner Bibelstellen, sondern um die Übersetzungspraxis der Neuen-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas im Gesamten.
Ziel ist es, die personellen Hintergründe, die sprachliche Methodik sowie die theologische Einflussnahme zu beleuchten, unter der diese Bibelübersetzung entstanden ist. Dabei werden sowohl die Qualifikation der verantwortlichen Übersetzer als auch die textkritischen Grundlagen und die systematische Weitergabe in andere Sprachen kritisch eingeordnet.
Es geht ausdrücklich nicht darum, religiöse Überzeugungen zu diffamieren, sondern um eine sachliche, quellenbasierte Bewertung einer Übersetzungsleistung, die weltweit millionenfach verbreitet wird und erheblichen Einfluss auf das Bibelverständnis innerhalb einer streng organisierten Glaubensgemeinschaft hat.
Die erste Version der Neuen-Welt-Übersetzung wurde von Raymond Franz, Fred Franz, Nathan Knorr, Albert Schröder, George Gangas und Milton Henschel „übersetzt“ – sämtlich damalige Mitglieder der Leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas. Auffällig ist dabei: Keiner dieser Männer verfügte über einen Hochschulabschluss in den für eine Bibelübersetzung relevanten Disziplinen. Fred Franz war lediglich für zwei Jahre in Griechisch immatrikuliert, hat jedoch nie einen Abschluss erlangt. Fachliche Expertise war somit offenbar kein Kriterium für die Beteiligung an diesem Übersetzungsprojekt. (Die Erstveröffentlichung der Neuen-Welt-Übersetzung erfolgte im Jahr 1950.)
Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Fred Franz, zum damaligen Zeitpunkt Vizepräsident der Watchtower Bible and Tract Society und Mitglied der Leitenden Körperschaft, vor dem Obersten Zivilgericht von Schottland am 24. November 1954.

Auszug aus dem Gerichtsprotokoll (unter Eid, Article ID: DJ200)
Frage: Haben Sie sich auch mit Hebräisch vertraut gemacht?
Franz: Ja.
Frage: Damit Sie über einen umfangreichen sprachlichen Apparat verfügen?
Franz: Ja, zur Verwendung in meiner biblischen Arbeit.
Frage: Ich denke, Sie können die Bibel auf Hebräisch, Griechisch, Latein, Spanisch, Portugiesisch, Deutsch und Französisch lesen und ihr folgen?
Franz: Ja.
Frage: Sie selbst lesen und sprechen Hebräisch, oder?
Franz: Ich spreche kein Hebräisch.
Frage: Sie nicht?
Franz: Nein.
Frage: Können Sie diesen vierten Vers des zweiten Kapitels der Genesis ins Hebräische übersetzen?
Franz: Meinen Sie hier?
Frage: Ja.
Franz: Nein.
Diese Hilflosigkeit wirkt – mit Verlaub – fast schon tragikomisch. Fred Franz war, wie erwähnt, der Einzige mit zumindest rudimentären Griechischkenntnissen. Doch auch das qualifiziert ihn keineswegs als Übersetzer biblischer Urtexte. Selbst Muttersprachler wären kaum in der Lage, Altgriechisch oder Biblisches Hebräisch adäquat zu übertragen. Man kann nur hoffen, dass die heutigen Übersetzer über fundiertere Kenntnisse verfügen.
Ein weiterer kritischer Aspekt: Die Neue-Welt-Übersetzung liegt (der Zeit) mittlerweile in über 279 Sprachen vor. Anders als bei wissenschaftlich fundierten Übersetzungen, bei denen jede Sprache möglichst direkt aus dem Urtext erschlossen wird, basiert die NWÜ in vielen Sprachen schlicht auf der englischen Ausgabe. Beispielhaft sei hier die Lutherbibel genannt: Zwar wurde sie ursprünglich ins Deutsche übersetzt, doch spätere Übertragungen ins Spanische oder Französische orientierten sich nicht an der deutschen Version, sondern gingen wiederum direkt zurück auf die biblischen Urtexte – um Kettenübersetzungen und Sinnverschiebungen zu vermeiden.
Bei der Neuen-Welt-Übersetzung hingegen ist es offenbar gängige Praxis, die englische Version als Basis für alle anderen Sprachen zu verwenden, ohne erneut den Urtext heranzuziehen. Das ist übersetzungswissenschaftlich höchst bedenklich und erhöht zwangsläufig die Fehleranfälligkeit.
Überprüfung der Eigenbehauptungen der Zeugen Jehovas zur NWÜ
(Quelle: JW.Org: „Ist die Neue-Welt-Übersetzung eine genaue Bibelübersetzung?“)
„Zuverlässige Ausgangstexte“ – so heißt es auf JW.org.
Die Neue-Welt-Übersetzung beruhe laut eigener Aussage auf dem „aktuellen Wissensstand von Gelehrten“ und auf „den zuverlässigsten alten Handschriften“. Zum Vergleich zieht man die Lutherbibel von 1545 heran – deren Übersetzer hätten auf Manuskripte zurückgegriffen, „die oft nicht so genau und nicht so alt waren wie die, die für die Neue-Welt-Übersetzung zur Verfügung standen“.
Was soll dieser Vergleich?
Natürlich war der wissenschaftliche Stand im 16. Jahrhundert ein anderer. Es wurden zahlreiche Manuskripte, Papyri und Kodizes erst im 19. und 20. Jahrhundert entdeckt. Doch sich heute mit einer Bibelübersetzung aus dem Jahr 1545 zu vergleichen, um die eigene Aktualität zu betonen, ist in etwa so seriös wie die Aussage: „Mein Auto ist moderner als eine Pferdekutsche.“
Warum vergleicht man sich also nicht mit einer heutigen, ebenfalls auf modernen Textfunden basierenden Übersetzung wie der Elberfelder, der Zürcher, der Neuen Genfer oder der Schlachter 2000? Ganz einfach: weil man dort nicht behaupten könnte, man sei „aktueller“.
Es handelt sich hier um ein klassisches rhetorisches Täuschungsmanöver: Man konstruiert einen vermeintlich wissenschaftlichen Anspruch durch einen Vergleich, der jeder sachlichen Grundlage entbehrt. Man vergleicht nicht gleichwertig, sondern abwertend – um sich selbst besser dastehen zu lassen.
„Originalgetreue Wiedergabe“ – das nächste Eigenlob.
Laut JW.org sei das Ziel der Neuen-Welt-Übersetzung, „den ursprünglichen Inhalt von Gottes Wort gewissenhaft wiederzugeben“ (unter Berufung auf 2. Timotheus 3:16). Man behauptet sogar, viele andere Übersetzungen opferten die Originalgetreue „zugunsten von Traditionen“, indem sie etwa den Gottesnamen „Jehova“ durch „Herr“ oder „Gott“ ersetzen.
Dazu muss man nüchtern feststellen:
Der Name „Jehova“ kommt im Neuen Testament in keinem der bekannten griechischen Manuskripte vor – und auch nicht im „Textus Receptus“, dem „Nestle-Aland“ oder dem „Codex Sinaiticus“. Die Einfügung des Namens „Jehova“ in über 200 neutestamentliche Stellen ist nicht durch Handschriften belegt und wird theologisch dogmatisch begründet, nicht philologisch.
Kurz: Hier wird nicht „originalgetreu“ übersetzt – hier wird ergänzt.
Das Märchen von „Jehova im Neuen Testament“ ist seit Jahrzehnten widerlegt – doch es wird weiterhin aufrechterhalten, um den Eindruck zu erzeugen, man habe etwas zurückgebracht, das in Wahrheit nie dort war.
„Wortgetreue Übersetzung“ – der nächste rhetorische Baustein.
Die NWÜ sei – im Gegensatz zu „freien Übersetzungen“ – wortgetreu wiedergegeben, sofern der Sinn dadurch nicht entstellt werde oder die Wortwahl unnatürlich erscheine. Gleichzeitig wird suggeriert, dass andere Übersetzer persönliche Ansichten einfließen lassen oder wichtige Details weglassen.
Das ist in mehrfacher Hinsicht irreführend.
Erstens: Die NWÜ ist keine interlineare oder philologisch basierte Wort-für-Wort-Übersetzung, sondern eine durch und durch theologisch gefärbte.
Zweitens: Der Vorwurf, andere Bibeln würden „wichtige Details weglassen“, wird ohne ein einziges Beispiel vorgebracht – reine Behauptung also.
Die Bandbreite moderner Bibelübersetzungen reicht von interlinear-wissenschaftlich (z. B. Elberfelder) bis zu kontextuell-theologisch (z. B. Gute Nachricht). Die NWÜ gehört definitiv zur zweiten Kategorie – wird aber öffentlich als vermeintlich „objektiv“ beworben.
Fazit:
Was JW.org hier präsentiert, ist keine neutrale Beschreibung einer Bibelübersetzung, sondern eine Marketingmaßnahme.
Es werden keine Belege geliefert, sondern Suggestionen formuliert. Vergleiche mit nicht zeitgemäßen Übersetzungen wie der Lutherbibel 1545 dienen einzig dazu, sich selbst überlegen erscheinen zu lassen. Und die Behauptung, die NWÜ sei „originalgetreu“ und „wortgetreu“, steht im Widerspruch zur tatsächlichen Textpraxis – etwa bei der systematischen Einfügung des Gottesnamens, der Verschiebung christologischer Aussagen, oder der Anpassung an die Organisationstheologie.
Das ist keine Bibelübersetzung im klassischen Sinn. Das ist eine dogmatisch gefärbte Textkonstruktion – mit dem Anspruch, exklusiv die Wahrheit zu vermitteln.
Die Neue-Welt-Übersetzung zeichnet sich durch eine sehr einfache und kontrollierte Sprache aus. Das macht sie massentauglich, aber auch leicht manipulierbar. Die Formulierungen sind auffallend auf das Wording der Wachtturm-Gesellschaft abgestimmt. In vielen Fällen lässt sich eine bewusste Tendenz zur Lehrausrichtung der Zeugen Jehovas feststellen:
- Im Alten Testament wird Gottes strafendes Handeln oft gemildert,
- im Neuen Testament werden Aussagen, die die Göttlichkeit Jesu unterstützen, sprachlich abgeschwächt oder unterdrückt.
Die Änderungen sind meist subtil: ein fehlendes Pronomen hier, ein eingefügtes Adjektiv dort – doch in der Summe entsteht ein verfälschtes Gesamtbild. Der vorhandene Spielraum in der Bibelübersetzung wird systematisch genutzt, um Lehrdifferenzen zu kaschieren und die eigene Dogmatik zu stützen. Das ist – theologisch gesprochen – manipulativ, unredlich und aus christlicher Sicht grenzwertig blasphemisch.
Für ein unabhängiges, ehrliches Bibelstudium ist die Neue-Welt-Übersetzung ungeeignet. Wer den ursprünglichen Aussagen der Bibel möglichst nahekommen will, sollte auf eine Übersetzung zurückgreifen, die keiner institutionellen Ideologie unterliegt.
Rechtlicher Hinweis: Dieser Beitrag dient der journalistischen und theologisch fundierten Auseinandersetzung mit öffentlich dokumentierten Vorgängen der Wachtturm-Gesellschaft. Alle Zitate dienen der kritischen Analyse gemäß § 51 UrhG (Zitatrecht). Alle genannten Gruppennamen und Begriffe sind eingetragene Bezeichnungen der jeweiligen Organisationen und werden hier ausschließlich im Rahmen zulässiger Berichterstattung nach § 50 UrhG und § 5 GG verwendet.
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