Die Theologie ist eine geisteswissenschaftliche Disziplin. Sie arbeitet nicht ausschließlich mit überprüfbaren Fakten im naturwissenschaftlichen Sinn, sondern beschäftigt sich im Kern mit der Auslegung heiliger Texte, der Interpretation religiöser Überlieferungen sowie mit der systematischen Reflexion über Glaubensinhalte und Glaubenspraktiken. Gerade weil die Heiligen Schriften mehrdeutig, historisch gewachsen und sprachlich vielfältig überliefert sind, lässt jede Übersetzung und Interpretation einen gewissen Spielraum offen.
Doch wo dieser Spielraum systematisch und einseitig genutzt wird, um zentrale Aussagen der Bibel ideologisch umzudeuten, ist nicht mehr von Auslegung oder Übersetzungsfreiheit zu sprechen – sondern von einer gezielten theologisch motivierten Veränderung. Einzelne Veränderungen mögen für sich genommen marginal erscheinen, doch in ihrer Gesamtheit entsteht ein konsistentes Bild: eine dem Dogma angepasste Bibel, die nicht mehr den Urtext wiedergibt, sondern die Lehre der Organisation absichert.
Diese Analyse dokumentiert exemplarisch, wie die „Neue-Welt-Übersetzung“ der Zeugen Jehovas in zahlreichen Fällen genau diesen Weg geht – und damit nicht eine neutrale Bibelübersetzung bietet, sondern eine theologisch manipulierte Schriftfassung.
Diese textkritische Zusammenstellung dokumentiert beispielhafte Veränderungen in der „Neuen-Welt-Übersetzung“ (NWÜ) der Zeugen Jehovas, die im Widerspruch zum Urtext und zu allen etablierten Bibelübersetzungen stehen. Die auffälligen Übersetzungsunterschiede lassen sich nahezu durchgehend durch lehrmäßige Interessen der Wachtturm-Gesellschaft erklären.
Das Altes Testament:
1.1 Jephtah und seine Tochter – Richter 11,30–40
Referenz: Schlachter-Übersetzung, Hebräischer Urtext, Vergleich mit der Neuen-Welt-Übersetzung)
Die Erzählung in Richter 11,30–40 gehört zu den erschütterndsten Texten des Alten Testaments. Sie dokumentiert das Gelübde des israelitischen Richters Jephtah, der Gott ein Opfer verspricht – und damit das Schicksal seiner eigenen Tochter besiegelt.
Der Text in der Neuen-Welt-Übersetzung (NWÜ)
„Wenn du die Ammoniter in meine Hand gibst […] dann soll der, der mir aus der Tür meines Hauses entgegenkommt, Jehova gehören, und ich werde ihn als Brandopfer opfern.“ (Vers 30–31)
Die Formulierung wirkt zunächst eindeutig – doch in Vers 35 heißt es überraschend:
„Jetzt muss ich dich wegschicken. Ich habe es Jehova versprochen und kann nicht zurück.“
In Vers 39 dann die Wendung:
„Nach zwei Monaten kam sie zu ihrem Vater zurück, und er erfüllte sein Gelübde. Sie hatte niemals sexuelle Beziehungen mit einem Mann.“
Diese Fassung lässt offen, was genau geschieht. Hat Jephtah seine Tochter tatsächlich geopfert oder sie lediglich aus dem familiären Leben „entlassen“?
Die Schlachter-Übersetzung – klarer in der Aussage
Die Schlachter-Bibel hält sich enger an den Urtext. Dort heißt es unmissverständlich:
„Und er vollzog an ihr das Gelübde, das er gelobt hatte. Und sie hatte nie einen Mann erkannt.“ (Vers 39)
Das Brandopfer wird sprachlich nicht aufgehoben oder relativiert. Auch der Hinweis auf ihre Jungfräulichkeit ist nicht die Erklärung des Gelübdes, sondern eine nachträgliche Bemerkung. Das Opfer bleibt der tragische Kern.
Der Urtext – kein Spielraum für Verharmlosung
Richter 11,31 (hebräisch):
„וְהָיָה לַיהוָה וְהַעֲלִיתִיהוּ עוֹלָה“
„…und es soll dem HERRN gehören, und ich werde es als Brandopfer darbringen.“

R. 11:35 Und es geschah, als er sie sah, dass er zerriss seine Kleidung und sagte: Ach, meine Tochter! Du hast mich sehr erniedrigt, und du bist einer von ihnen das beunruhigt mich: denn ich habe öffnete meinen Mund zum HERR, und ich kann nicht gehen zurück.

R. 11:39 Nach zwei Monaten kehrte sie zu ihrem Vater zurück, und er tat ihr nach seinem Gelübde, was er gelobt hatte. +Was sie betrifft, sie hatte noch nie einen Mann gekannt. +Dann wurde es in Israel zu einem Gesetz
- Das Waw (וְ) verbindet zwei Aussagen: dem HERRN gehören und als Brandopfer darbringen – kein Entweder-oder.
- Das Verb ʿálah (עלה) bedeutet im Kultkontext hinaufsteigen lassen, also vollständig verbrennen – typisch für das Brandopfer (ʿoláh).
- Auch Vers 39 sagt klar: „Er tat ihr, wie er gelobt hatte.“ – was sich grammatikalisch direkt auf das Brandopfer bezieht.
Ein symbolisches Tempelopfer ist hier nicht intendiert – dafür fehlen im Text alle nötigen Anzeichen.
Auch interessant ist, was in der sogenannten „Kinderbibel“ der Zeugen Jehovas steht „Mein Buch mit biblischen Geschichten“, Seite 120 dort ging sie ins Schilo und dient Gott in der Stifthütte. Was so überhaupt nicht in der Bibel vorkommt!

Die überwiegende Mehrheit der heutigen Theologie und Bibelwissenschaft geht klar davon aus, dass Jephtah seine Tochter tatsächlich geopfert hat. Frühere kirchliche Deutungen versuchten dies zu entschärfen, um moralische Dissonanzen zu vermeiden sind aber exegetisch nicht haltbar.
Die NWÜ und die Kinderbibel der Zeugen Jehovas greifen auf diese älteren, apologetischen Deutungsmuster zurück nicht aus exegetischen Gründen, sondern um ein Gewaltbild Gottes zu vermeiden, dass dem theologischen Selbstbild widerspricht. Dabei entsteht eine theologisch inkonsistente Übersetzung, die der Originalsprache nicht gerecht wird.
Die Geschichte von Jephtah und seiner Tochter ist eine der deutlichsten Stellen, an denen sich zeigt, wie selektiv und ideologisch die NWÜ mit dem biblischen Text umgeht. Während der hebräische Urtext und die klassischen Übersetzungen von einem tatsächlichen Menschenopfer ausgehen, versucht die Neue-Welt-Übersetzung, das Bild eines grausamen, fordernden Gottes zu kaschieren.
Die Kinderversion der Zeugen Jehovas geht noch weiter und erfindet Inhalte, die nicht in der Bibel stehen – ein klarer Fall von Lehrmanipulation unter dem Deckmantel „leichter Verständlichkeit“.
1.2 . Samuel 24,1 im Vergleich
Schlachter 2000:
„Und der Zorn des HERRN entbrannte wieder gegen Israel, und er reizte David gegen sie, indem er sprach: Geh hin, zähle Israel und Juda!“
➡ Gott selbst ist der Urheber der Versuchung.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
„Der Zorn Jehovas entbrannte erneut gegen Israel, als David angestachelt wurde: ‚Geh und nimm in Israel und Juda eine Zählung vor.‘“
➡ Subjekt verschwindet, Passivform („wurde angestachelt“) – das Verb wird entpersonalisiert, Gott ist nicht mehr der Handelnde.
Hebräischer Urtext:

וַיֹּ֤סֶף אַף־יְהוָה֙ לַחֲ֣רוֹת בְּיִשְׂרָאֵ֔ל וַיָּ֙סֶת֙ אֶת־דָּוִ֣ד בָּהֶ֔ם לֵאמֹ֑ר לֵ֧ךְ מְנֵ֛ה אֶת־יִשְׂרָאֵ֥ל וְאֶת־יְהוּדָ֖ה
– wörtlich:
„Und erneut entbrannte der Zorn JHWHs gegen Israel, und er reizte (וַיָּ֙סֶת֙) David gegen sie und sprach: Geh, zähle Israel und Juda.“
Das Verb וַיָּ֙סֶת֙ (vajjaset) bedeutet „aufwiegeln“, „reizen“, „verleiten“ – und steht in der dritten Person Singular maskulin: JHWH selbst ist grammatisch das Subjekt.
1. Die Ursache des Unheils:
- Der Originaltext sieht JHWH selbst als Ursprung der Verleitung Davids.
- Die NWÜ tilgt diese aktive Rolle Gottes und ersetzt sie durch eine anonyme Kraft, die David antreibt.
- Dies geschieht, obwohl es im Parallelbericht (1. Chronik 21,1) später Satan ist, der David reizt – was aber als theologische Entwicklung (Spätphase) verstanden wird, nicht als Widerspruch.
2. Theologischer Kontext:
- Das AT kennt einen Gott, der prüft, tötet, straft – auch auf grausame Weise (vgl. z. B. 2. Mose 4,24; Jesaja 45,7).
- Die NWÜ verfolgt das Ziel, Gott stets moralisch rein erscheinen zu lassen – was mit dem alttestamentlichen Text oft nicht vereinbar ist.
In 2. Samuel 24,1 ist JHWH nach hebräischer Grammatik und den ältesten Übersetzungen (LXX, Vulgata, Targum) eindeutig derjenige, der David zum Unheil verleitet. Diese theologische Spannung, dass Gott selbst zur Sünde anstiftet, die er später mit dem Tod von 70.000 Menschen bestraft, wird in der Neuen-Welt-Übersetzung verwischt und verschleiert.
Ergebnis: Eine ideologische
1.3 Mose 31,17–18 – Kontext & Inhalt
Die Stelle spielt nach einem von Gott befohlenen Rachekrieg gegen die Midianiter. Das Ziel: die vollständige Auslöschung, inklusive Kinder und Frauen – mit Ausnahme der jungfräulichen Mädchen, die „für euch am Leben bleiben sollen“.
Schlachter 2000:
17 So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und tötet alle Frauen, die einen Mann im Beischlaf erkannt haben; 18 aber alle Kinder weiblichen Geschlechts, die keinen Mann im Beischlaf erkannt haben, die lasst für euch leben.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
17 tötet jetzt alle Jungen und jede Frau, die sexuelle Beziehungen mit einem Mann gehabt hat. Die Mädchen, die noch keine sexuellen Beziehungen mit einem Mann hatten, könnt ihr jedoch alle am Leben lassen.
Hebräischer Urtext:

Übersetzung | Formulierung in V. 18 |
Schlachter | „die lasst für euch leben“ |
Luther | „die lasst für euch leben“ |
NWÜ | „die könnt ihr jedoch alle am Leben lassen“ |
Hebr. Urtext | וְכֹל הַטַּף בַּנָּשִׁים אֲשֶׁר לֹא יָדְעוּ מִשְׁכַּב זָכָר הַחֲיוּ לָכֶם → „die Mädchen, die keinen Beischlaf mit einem Mann kannten, erhaltet am Leben für euch“ |

Das Schlüsselwort im Hebräischen: לָכֶם (lachem) = für euch. Es bezeichnet Zugehörigkeit, Zweckbindung, teilweise sogar Besitzverhältnisse – nicht bloß ein „Nichttöten“.
Sprachlich-theologische Analyse
Die Wendung „für euch“ (לָכֶם) hat im Kontext von alttestamentlichen Kriegsberichten eine klare Konnotation: Es geht nicht um Gnade, sondern um Verwertung als Kriegsbeute – inklusive der Möglichkeit sexueller Ausbeutung. Dies wird später im Kapitel sogar geregelt (z. B. Reinigung nach Berührung, Vers 19–24).
Die NWÜ-Formulierung „könnt ihr am Leben lassen“ suggeriert jedoch eine moralische Entscheidungsspielräume, fast als sei das ein Akt der Humanität – was der Text nicht hergibt.
Ethischer und historischer Kontext
In der antiken Welt galten Frauen als Besitz – besonders Jungfrauen als hochwertige Beute. In anderen Kulturen war es ebenso üblich (z. B. Assyrer, Babylonier). Der Unterschied liegt nicht in der Brutalität, sondern in der transparenteren Darstellung.
Die NWÜ verfolgt jedoch die Strategie, biblische Grausamkeit zu glätten, verschweigen oder umzudeuten, um das Bild eines stets gerechten, gnädigen Gottes zu erhalten – auch wenn dies den Originaltext verfälscht.
In 4. Mose 31,17–18 steht im Urtext unmissverständlich, dass alle männlichen Kinder und alle nicht-jungfräulichen Frauen getötet werden sollen – während die jungfräulichen Mädchen „für euch“ am Leben bleiben dürfen. Die Formulierung meint nicht Gnade, sondern Besitznahme.
Die Neue-Welt-Übersetzung ersetzt das klare „für euch“ durch das sanfte „könnt ihr am Leben lassen“ – ein rhetorischer Trick, um die eigentliche Bedeutung zu verschleiern: sexuelle Verfügbarkeit als Kriegsbeute.
Was hier geschieht, ist kein Akt der Barmherzigkeit – es ist die theologische Kosmetik eines Textes, der sonst das Selbstbild der Organisation ins Wanken bringen könnte.
Der Unterschied ist klein im Wortlaut – aber bedeutungsschwer im Inhalt.
Der Gott der Bibel ist kein moderner Therapeut, sondern ein zorniger Bundesgott und die Bibel verschweigt das nicht. Die NWÜ aber schon.
Was hier geschieht, ist mehr als Interpretation, es ist gezielte theologische Zensur.
Doch wer die Bibel verändern muss, um das eigene Gottesbild zu retten, folgt nicht mehr der Schrift – sondern einer dogmatisch vorgegebenen Lehre, die sich den Text unterwirft.
Das Neuen Testament:
Im Neuen Testament finden sich die meisten Abweichungen der Neuen-Welt-Übersetzung im Vergleich zum Urtext und zu anderen anerkannten Bibelübersetzungen.
Als Urtext zum Vergleich nutze ich das Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), das auch der Neuen-Welt-Übersetzung zugrunde liegt.
Die Schlachter-Bibel hingegen verwendet den Textus Receptus als Ausgangstext. Daher beziehe ich sie gelegentlich ergänzend in den Vergleich ein, um eine breitere Vergleichsbasis zu schaffen und historische Übersetzungstraditionen sichtbar zu machen.
2.1 . Matthäus 25,46 – „Kolasis“ als Abschneidung?
ES geht es um das Wort „Kolasin“ und die eigentümliche Übersetzung in der NWÜ.
Schlachter 2000:
Und sie werden in die ewige Strafe hingehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.
Elberfelder 1871:
Und diese werden hingehen in die ewige Pein; die Gerechten aber in das ewige Leben.
Einheitsübersetzung 1980
Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
Sie werden in die ewige Abschneidung gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.
Urtext Nestle-Aland:

„Und diese werden in die Züchtigungszeit hineinkommen, die Gerechten aber in die Zeit des Lebens.“

καὶ ἀπελεύσονται οὗτοι εἰς κόλασιν αἰώνιον, οἱ δὲ δίκαιοι εἰς ζωὴν αἰώνιον.
Bedeutung von κόλασις:
- Griechisch κόλασις bedeutet wörtlich: Züchtigung, Strafe, ursprünglich auch Beschneidung/Wegnahme zur Erziehung.
- Klassisch steht es im Gegensatz zu τιμωρία (Vergeltungsstrafe): κόλασις ist korrektiv, nicht rein destruktiv – aber dennoch eine Strafe, nicht eine „Abschneidung“ im Sinne von „Beendigung“ oder „Absonderung“.
Kommentar: Der Begriff „Abschneidung“ entzieht dem Wort „κόλασις“ seinen Strafcharakter. Diese Änderung vermeidet bewusst die Vorstellung einer ewigen Bestrafung, wie sie traditionell unter Christen mit der „Hölle“ assoziiert wird. Die NWÜ verflacht damit die Aussagekraft des Urtexts.
Fazit: Die Übersetzung mit „Abschneidung“ ist semantisch irreführend, grammatisch unzulässig (da es sich um ein Substantiv, nicht ein Bild handelt), und theologisch verzerrend. Die NWÜ ersetzt eine klare Strafankündigung durch eine abstrahierte Metapher – ein klassisches Beispiel ideologischer Übersetzung.
2.2. Matthäus 27,52–53 – Auferstehung oder Erdbebenopfer?
Schlachter 2000:
52 Und die Gräber öffneten sich, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt
53 und gingen aus den Gräbern hervor nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
„Viele Leichen von Heiligen wurden aufgerichtet […] Leute, die von den Gräbern kamen, gingen in die Heilige Stadt.“
Urtext Nestle-Aland:
und die Gräber wurden geöffnet. Und viele Körper der „ruhenden“ Heiligen wurden aufgeweckt

und als sie nach seiner Erweckung aus den Gräbern herauskamen, betraten sie die heilige Stadt und wurden vielen offenbart.


πολλὰ σώματα τῶν κεκοιμημένων ἁγίων ἠγέρθησαν…
– ἠγέρθησαν ist Aorist Passiv von ἐγείρω = „aufwecken“, „auferwecken“, „auferstehen“
– sōmata tōn kekoimēmenōn hagiōn = „die Leiber der entschlafenen Heiligen“
Die Passage beschreibt eine tatsächliche Auferstehungshandlung (nicht rein symbolisch!), die nach dem Tod Jesu beginnt und sich zeitlich bis zur Auferstehung erstreckt – mit klaren Verben für Aufwecken und Hervorgehen.
Kommentar: Aus „auferweckt“ wird „aufgerichtet“, aus „Heilige“ werden „Leute“, aus „erschienen“ wird „gesehen“. Damit wird der biblische Bericht einer Auferstehung faktisch entkernt – wohl, weil er der Eschatologie der Zeugen Jehovas widerspricht.
Fazit: Diese Version verzerrt den Text in einer Weise, die nicht philologisch, sondern rein lehrsystematisch motiviert ist. Die Zeugen Jehovas lehren, dass es vor Harmagedon keine Auferstehung gibt – daher kann Matthäus 27,52–53 nicht wörtlich übernommen werden. Die NWÜ löst das Problem nicht exegetisch, sondern redaktionell – durch semantische Entleerung.
Die beiden Passagen aus Matthäus demonstrieren beispielhaft, wie die Neue-Welt-Übersetzung nicht nur begrifflich, sondern auch erzähltechnisch und theologisch in den biblischen Text eingreift:
- Begriffe wie κόλασις werden entschärft, um das Bild einer „liebevollen, gerechten“ Gottheit zu wahren.
- Narrative wie die Auferstehung der Heiligen werden entkernt, um mit der eigenen Eschatologie kompatibel zu bleiben.
Es handelt sich nicht um Interpretation im Rahmen zulässiger Bedeutungsfelder, sondern um gezielte theologische Modifikation – eine Art Übersetzungstheologie, bei der der Text der Doktrin dient, statt umgekehrt.
2.3. Johannes 1,1 – „Das Wort war Gott“ oder „ein Gott“?

Schlachter Bibel:
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. 2 Dieses war im Anfang bei Gott. 3 Alles ist durch dasselbe entstanden; und ohne dasselbe ist auch nicht eines entstanden, was entstanden ist.
Die Interlinear Übersetzung:
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.2 Dieses war im Anfang bei Gott.3 Alles durch es ist geworden, und ohne es ist geworden auch nicht eines. Was geworden ist.
Die Elberfelder Übersetzung:
1 Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.2 Dieses war im Anfang bei Gott.3 Alles wurde durch dasselbe, und ohne dasselbe wurde auch nicht eines, das geworden ist.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war ein Gott Dieses Wort war am Anfang bei Gott. 3 Alles kam durch das Wort ins Dasein und ohne das Wort kam gar nichts ins Dasein.
Urtext Nestle-Aland:

„Am Anfang war das Wort, und das Wort richtete sich an Gott, und Gott war das Wort.“
καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος – „… und Gott war das Wort“
Kommentar: Die grammatikalische Struktur (prädikatives Nomen ohne Artikel) ist im Griechischen keine Begründung für die Hinzufügung des unbestimmten Artikels „ein“. Die NWÜ versucht so, Jesus dem Allmächtigen Gott unterzuordnen gegen den Wortlaut und die übereinstimmende Ansicht griechischer Fachleute.
Zitat der Wachtturm-Gesellschaft:
„Doch offensichtlich wollte Johannes nicht sagen, ‚das Wort‘ sei mit dem allmächtigen Gott identisch. Dafür sprechen drei Gründe. Erstens: Direkt davor und danach heißt es von dem ‚Wort‘, dass es ‚bei Gott‘ war.“
Kommentar:
Ein seltsames Argument. Auch mein Arm ist „bei mir“ – und dennoch ein Teil von mir. Nähe und Identität schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Gerade das Miteinander von „bei Gott“ und „Gott war das Wort“ verdeutlicht das Mysterium, nicht den Widerspruch.
Zitat der Wachtturm-Gesellschaft:
„Zweitens: Das griechische Wort theós (‚Gott‘) kommt in Vers 1 und 2 drei Mal vor. An der ersten und dritten Stelle steht im Griechischen der bestimmte Artikel davor; an der zweiten Stelle steht kein Artikel. Viele Bibelwissenschaftler halten das Fehlen des bestimmten Artikels vor dem zweiten theós für bedeutsam. Dort, wo in diesem Kontext der bestimmte Artikel steht, bezieht sich theós auf den allmächtigen Gott. Fehlt dagegen der bestimmte Artikel, erhält theós eine klassifizierende Bedeutung und beschreibt eine Eigenschaft.“
Kommentar:
Welche Bibelwissenschaftler? Es wird kein einziger Name genannt. In der seriösen Exegese ist diese Argumentation nicht haltbar – insbesondere nicht in Bezug auf Johannes 1,1. Zahlreiche anerkannte Gräzisten (z. B. F. F. Bruce, W. Barclay, C. K. Barrett) widersprechen dieser Lesart entschieden. Das Fehlen des Artikels ist grammatikalisch typisch für prädikative Nomina – es bedeutet nicht, dass hier ein „niedrigerer Gott“ gemeint ist. Diese Konstruktion kommt im biblischen Griechisch häufig vor, ohne dass dadurch eine „klassifizierende Bedeutung“ impliziert wäre.
Auch JW.Org beruft sich gelegentlich auf externe Stimmen, um die Qualität ihrer Bibelübersetzung zu unterstreichen – so etwa auf Robert M. McCoy, der 1963 in der theologischen Fachzeitschrift Andover Newton Quarterly eine Rezension zur Neuen-Welt-Übersetzung verfasste. Tatsächlich lobte McCoy bestimmte technische Aspekte der Übersetzung und stellte fest, sie sei von Gelehrten erstellt worden, „die in der Lage sind, die beim Übersetzen der Bibel auftretenden Probleme sinnvoll zu lösen.“

Was auf JW.Org jedoch nicht erwähnt wird, ist der entscheidende Nachsatz in McCoys Rezension:
„In nicht wenigen Fällen enthält die Neue-Welt-Übersetzung Passagen, die als ‚theologische Übersetzungen‘ zu betrachten sind. Diese Tatsache wird besonders deutlich in den Passagen, die die Gottheit Jesu Christi ausdrücken oder implizieren.“
Mit anderen Worten: McCoy erkennt durchaus, dass die NWÜ gezielt theologisch eingefärbt wurde – insbesondere dort, wo die biblische Lehre nicht zur Dogmatik der Zeugen Jehovas passt. Dass JW.Org diesen Hinweis unterschlägt und nur den positiven Teil zitiert, ist kein Zufall, sondern ein weiteres Beispiel für selektive Informationspolitik.
2.4 Johannes 8,1–11 – Die Ehebrecherin
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ): Text fehlt vollständig.
Kommentar: Der berühmte Text über Barmherzigkeit und Vergebung fehlt in der NWÜ. Zwar ist der Text in frühen Handschriften nicht belegt, doch in praktisch allen Bibelausgaben mit Hinweis enthalten. Sein vollständiges Fehlen in der NWÜ verstärkt den Eindruck ideologischer Tilgung.
Im Johannesevangelium 8,1–11 geht es um die bekannte Szene mit der Ehebrecherin, die von den Schriftgelehrten und Pharisäern nach mosaischem Gesetz gesteinigt werden soll. Jesus verhindert dies – mit einer bemerkenswerten Wendung: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“
Diese Passage fehlt in der Neuen-Welt-Übersetzung vollständig. Die Leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas begründet dies damit, dass der Abschnitt in mehreren frühen Handschriften nicht enthalten ist – etwa im Codex Sinaiticus und in den Papyrus 66 und 75, die zu den ältesten bekannten Zeugnissen des Johannesevangeliums gehören (ca. 2. Jahrhundert n. Chr.).
Gleichzeitig wird jedoch oft darauf verwiesen, dass Papias von Hierapolis (frühes 2. Jahrhundert) offenbar auf diese Geschichte Bezug nahm, was für eine frühe mündliche Überlieferung spricht. Im Codex Bezae (5. Jahrhundert) taucht die Perikope dann vollständig auf. Ob sie ursprünglich zum Johannesevangelium gehörte und später weggelassen wurde – oder ob sie später eingefügt wurde –, ist unter Textkritikern bis heute umstritten.
Ich persönlich finde es bedauerlich, dass die NWÜ diesen Text nicht wenigstens in einer Fußnote aufführt – wie es in den meisten wissenschaftlich fundierten Bibelausgaben üblich ist. Die Geschichte von der Ehebrecherin ist nicht nur literarisch stark, sondern vermittelt eine zentrale Botschaft Jesu: Vergebung, Demut und die Absage an Selbstgerechtigkeit. Auch wenn ihre Zugehörigkeit zum ursprünglichen Textbestand nicht eindeutig geklärt ist, halte ich sie für theologisch wertvoll und tief bewegend.
2.5 Kolosser 1,16–20 – „alle Dinge“ oder „alle anderen Dinge“?
Diese Stelle steht exemplarisch für viele subtile, aber theologisch folgenreiche Änderungen in der NWÜ, die zur Abwertung Jesu Christi führen. Als Vergleich dienen hier die Schlachter-Bibel, eine interlineare Übersetzung sowie der griechische Urtext (Nestle-Aland).
Schon ab Vers 13 sind Unterschiede in Nuancen erkennbar, aber der entscheidende Eingriff erfolgt ab Vers 16:

Kolosser 1,16:
- NWÜ: „Denn durch ihn sind alle anderen Dinge in den Himmeln und auf der Erde … erschaffen worden …“
- Schlachter: „Denn in ihm ist alles erschaffen worden …“
- Interlinear: „Weil in ihm geschaffen worden ist alles …“
- Urtext (Nestle-Aland): „ὅτι ἐν αὐτῷ ἐκτίσθη τὰ πάντα“ = Denn in ihm ist alles erschaffen …
Die Einfügung von „anderen“ in der NWÜ und das Weglassen von „in ihm“ sind keine Interpretationen, sondern gezielte inhaltliche Verschiebungen, um die Lehre zu stützen, Jesus sei nicht der Schöpfer aller Dinge, sondern selbst ein erschaffenes Wesen. Das passt zur Lehre der Zeugen Jehovas, wonach Jesus als „Erzengel Michael“ der erste von Gott erschaffene Engel sei – nicht aber der ewig präexistente Sohn Gottes.

Kolosser 1,17:
- NWÜ: „Auch ist er vor allen anderen Dingen, und durch ihn sind alle anderen Dinge gemacht worden, um zu bestehen.“
- Schlachter/Interlinear: „Und er ist vor allem, und alles hat seinen Bestand in ihm.“
- Urtext: „αὐτός ἐστιν πρὸ πάντων, καὶ τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν“
Wieder wird das neutrale „alle Dinge“ in der NWÜ zu „alle anderen Dinge“. Das verändert nicht nur den Sinn, sondern entzieht Christus seine Schöpfungsmacht – im Widerspruch zum Urtext.
Kolosser 1,18:
- NWÜ: „… der Versammlung …“
- Andere Übersetzungen: „… der Gemeinde …“
„Versammlung“ ist zwar sprachlich nicht falsch, aber auffällig, weil es dem internen Sprachgebrauch der Zeugen Jehovas entspricht. Auch dies ist eine terminologische Angleichung, die dem neutralen Bibeltext ein organisationsspezifisches Wording überstülpt.
Kolosser 1,20:

NWÜ: „… durch ihn alle anderen Dinge wieder mit sich zu versöhnen … durch das Blut, das er am Marterpfahl vergoss …“
Die Formulierung „alle anderen Dinge“ steht nicht im Urtext. Auch der Begriff „Marterpfahl“ ist eine Eigenprägung der WTG – das griechische Wort „σταυρός“ bedeutet im Kontext schlicht: Pfahl oder Kreuz. Das Wort „Marterpfahl“ ist im deutschen Sprachgebrauch unüblich und erinnert eher an einen Totempfahl – ein Ausdruck, der die Kreuzigung bewusst von christlicher Terminologie entkoppelt.
Kommentar: Die NWÜ suggeriert, dass Jesus nicht selbst Schöpfer ist, sondern ein geschaffener Mittler – im Einklang mit ihrer Lehre vom „Erzengel Michael“. Das Wort „anderen“ steht nicht im Urtext.
Fazit:
Der Text Kolosser 1,13–20 wurde in der NWÜ umfangreich und systematisch verändert, um die Lehre zu stützen, dass Jesus nicht göttlich, sondern ein geschaffener Mittler sei. Durch die Einfügung von „anderen“, das systematische Weglassen von „in ihm“ und das Anpassen zentraler Begriffe wird das Bild Jesu nicht nur verschoben, sondern strukturell entwertet – im klaren Gegensatz zum Urtext.
Ein Christus, durch den alle Dinge erschaffen wurden, wäre mit der Christologie der Zeugen Jehovas unvereinbar. Daher wurde aus „alle Dinge“ kurzerhand „alle anderen Dinge“ gemacht.
2.6 Philipper 2,9 – Der Name über jedem „anderen“ Namen?
Schlachter Bibel:
9 Darum hat ihn Gott auch über alle Maßen erhöht und ihm einen Namen verliehen, der über allen Namen ist.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
9 Gerade aus diesem Grund hat Gott ihn in eine übergeordnete Stellung erhöht und ihm gütiger erweise den Namen gegeben, der über jedem anderen Namen ist, 10 damit jeder – ob im Himmel, auf der Erde oder unter dem Erdboden – seine Knie im Namen Jesu beug.
Urtext Nestle-Aland:
τὸ ὄνομα τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνομα – „… den Namen, der über jeden Namen ist.
Kommentar: Die Einfügung von „anderen“ dient erneut der Abgrenzung zu Gottes Namen „Jehova“, der in der NWÜ zentral ist. Der Urtext kennt diesen Zusatz nicht.
Die Einfügung von „anderen“ ist keine Übersetzung, sondern Interpretation – und zwar eine dogmatisch motivierte. Die neutrale Aussage des Urtextes („über jeden Namen“) wird relativiert, um die Vorrangstellung Jesu sprachlich zu unterlaufen.
Wie sagte es schon Christian Morgenstern:
„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“
Der Satz passt hier treffend. Die Neue-Welt-Übersetzung zeigt erneut: Wo der Urtext etwas anderes sagt als die Lehre, wird nicht die Lehre geändert – sondern der Text.
2.7 1. Korinther 6,9 – Pornoi, Katamiten und Homosexualität
Schlachter 2000:
Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Irrt euch nicht: Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Weichlinge, noch Knabenschänder,
Elberfelder 1871:
Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Irret nicht. Weder Hurer, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder.
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Königreich Gottes nicht erben werden? Lasst euch nicht täuschen: Personen, die sexuell unmoralisch handeln, Götzendiener, Ehebrecher, Männer, die sich für homosexuelle Handlungen hergeben, Männer, die Homosexualität praktizieren.
Urtext Nestle-Aland:

οὔτε πόρνοι οὔτε εἰδωλολάτραι οὔτε μοιχοὶ οὔτε μαλακοὶ οὔτε ἀρσενοκοῖται
→ „… weder pornoi (Unzüchtige/Hurer), noch eidōlolatrai (Götzendiener), noch moichoi (Ehebrecher), noch malakoi (Weichlinge), noch arsenokoitai (Männer, die mit Männern liegen).“
Kommentar: Die NWÜ nutzt hier stark auslegende Umschreibungen. Der Begriff „Homosexualität“ ist ein modernes Konzept und wird mit moralischer Totalverwerfung belegt. Gleichzeitig wird der unklare Begriff „Pornoi“ sehr weit gefasst – was innergemeinschaftliche Kontrolle über persönliche Sexualität verstärkt.
Die Begriffe malakoi und arsenokoitai sind in der antiken Welt semantisch schwer einzuordnen – sie können sich auf missbräuchliche, manipulative oder entwürdigende Formen männlicher Sexualität beziehen, aber nicht zweifelsfrei auf konsensuelle Homosexualität. Der Begriff pornoi wiederum meint ursprünglich Hurer, also Männer, die sexuelle Dienste in Anspruch nehmen – nicht jede Form sexuellen Verhaltens außerhalb der Ehe.
Doch die NWÜ pauschalisiert und moralisiert:
- pornoi wird zu „Personen, die sexuell unmoralisch handeln“ – ein extrem weiter Begriff, der jede Form nichtkonformer Sexualität unter Generalverdacht stellt.
- malakoi und arsenokoitai werden gleichgesetzt mit „Männern, die sich für homosexuelle Handlungen hergeben“ und „Homosexualität praktizieren“. Das ist nicht nur sprachlich fragwürdig, sondern auch ethisch verkürzend.
Theologischer Kommentar
Die NWÜ benutzt hier eine Methode, die Jesus selbst in Matthäus 23,4 den Pharisäern vorwirft:
„Sie binden schwere Bürden zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern …“
Durch sprachliche Zuspitzung wird ein rigides Sexualethos durchgesetzt, das nicht mehr zwischen Lust, Missbrauch, Bindung oder Gewalt unterscheidet – sondern alles unter dem Oberbegriff „sexuelle Unmoral“ subsumiert.
Besonders bedenklich ist die theologisch nicht haltbare Gleichsetzung von porneia (Unzucht, Prostitution, Ehebruch) mit z. B. Masturbation oder vorehelichem Sex – eine Praxis, die ausschließlich in der Lehre der Zeugen Jehovas existiert, nicht aber im biblischen Text selbst. Die Übersetzung ist hier nicht Erklärung, sondern Moralverstärkung durch Begriffserweiterung.
Es ist keine Übersetzung mehr – es ist eine pädagogische Disziplinierungsmaßnahme, verpackt als Schrifttext.
2.8 Apostelgeschichte 20,20 – Von Haus zu Haus?
Schlachter 2000:
20 und wie ich nichts verschwiegen habe von dem, was nützlich ist, sondern es euch verkündigt und euch gelehrt habe, öffentlich und in den Häusern,
Elberfelder 1871:
Wie ich nichts zurückgehalten habe von dem, was nützlich ist, dass ich es euch nicht verkündigt und euch gelehrt hätte, öffentlich und in den Häusern
Neue-Welt-Übersetzung (NWÜ):
Und ich habe mich nicht zurückgehalten, euch alles mitzuteilen, was nützlich* war, und euch öffentlich und von Haus zu Haus zu lehren.
Urtext Nestle-Aland:

Wie ich unter keinen Umständen davor zurückschreckte, Sie über alles Zweckmäßige zu informieren und Sie in der Öffentlichkeit und in Ihren Häusern zu unterrichten
Kommentar: Auch hier übernimmt die NWÜ das Zeugen-Jargon für den Predigtdienst. Die ursprüngliche Bedeutung betont jedoch private Lehrgespräche – nicht systematische Haustürverkündigung.
Das ist kein gravierender Sinnfehler – aber es ist eine bewusste Bedeutungsverschiebung, die den Eindruck erzeugen soll: Schon Paulus hat so gepredigt, wie Jehovas Zeugen es heute tun.
Tatsächlich handelt es sich hier nicht um ein historisches Vorbild für missionarische Tätigkeiten an Haustüren, sondern um eine Beschreibung von pastoraler Unterweisung im familiären oder privaten Raum – etwas ganz anderes als die organisierte systematische Haustürmission der Zeugen Jehovas.
Die Übersetzung „von Haus zu Haus“ ist ein Beispiel für das, was sich durch viele Stellen der NWÜ zieht: eine sprachlich saubere, aber inhaltlich manipulative Rahmung, die neutrale Begriffe durch organisationsspezifisches Vokabular ersetzt.
Es ist nicht falsch im Sinne der Grammatik – aber es ist gezielt irreführend im Sinne der Wirkung.
Gesamteinschätzung:
Die „Neue-Welt-Übersetzung“ der Zeugen Jehovas ist nicht lediglich eine eigenständige Bibelübersetzung, sondern ein Lehrinstrument, das zentrale biblische Begriffe und Aussagen redaktionell manipuliert, um sie mit dem eigenen Dogma in Einklang zu bringen. Es handelt sich nicht um philologische Präzision, sondern um theologisch motivierte Umschreibung.
Die hier untersuchten Bibelstellen zeigen ein klares Muster: Die Neue-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas nimmt nicht nur geringfügige stilistische Freiheiten, sondern systematische Eingriffe in den biblischen Text vor – mit dem Ziel, ihn der Lehre und dem Selbstverständnis der Organisation anzupassen.
Eine Übersetzung, die systematisch Eingriffe vornimmt, um die Aussagen der Bibel an ein vorgefasstes Lehrsystem anzupassen, ist keine Bibelübersetzung im eigentlichen Sinn mehr – sie ist ein lehrbezogenes Rechthaberwerk, ein theologisch gefilterter Textkorpus, der die Bibel nicht erklärt, sondern ersetzt.
Wer die Schrift der Lehre unterordnet, verliert beides.

Methodischer Hinweis:
Im Neuen Testament finden sich die meisten Abweichungen der Neuen-Welt-Übersetzung im Vergleich zum Urtext und zu anderen anerkannten Bibelübersetzungen. Als Urtext verwende ich das Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland, 28. Auflage), das in der wissenschaftlichen Theologie weltweit als Standard gilt.
Für den Vergleich wurden folgende Bibelübersetzungen herangezogen:
- Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift (Studienausgabe, 2018)
- Elberfelder Bibel (Ausgabe 2006, Edition CSV)
- Schlachter 2000
- Einheitsübersetzung 1980
- Interlinearübersetzung (Nestle-Aland Interlinear)
- In Teilen auch: Luther 1984 / 2017 sowie die Zürcher Bibel
Zitate aus dem Urtext wurden transliteriert oder anhand der Nestle-Aland-Ausgabe (NA28) direkt übersetzt. Hebräische und griechische Originalbegriffe wurden teilweise aus dem Scripture4All-Tool, der STEP Bible und Biblehub.com überprüft.
Rechtlicher Hinweis
Dieses Dokument dient der theologischen Analyse und Meinungsäußerung im Rahmen wissenschaftlicher und publizistischer Freiheit gemäß Artikel 5 GG (Deutschland). Alle Bibelzitate und Textvergleiche erfolgen im Rahmen des gesetzlich zulässigen Zitatrechts (§ 51 UrhG). Die verwendeten Übersetzungen sind Eigentum der jeweiligen Bibelgesellschaften bzw. Herausgeber und werden hier ausschließlich zu Studien-, Vergleichs- und Dokumentationszwecken verwendet. Eine kommerzielle Nutzung ist ausgeschlossen.
Kritische Einordnungen einzelner Übersetzungsentscheidungen erfolgen aus wissenschaftlich-textkritischer Perspektive und stellen keine pauschale Abwertung religiöser Überzeugungen dar. Die Analyse richtet sich nicht gegen Personen, sondern gegen die Art der textlichen Darstellung in einem bestimmten organisatorisch-theologischen Kontext.